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EU-Gesundheitsabkommen: Wirtschaftlich verständlich, demokratisch bedenklich

  • Carlos Reinhard
  • 6. Nov.
  • 4 Min. Lesezeit

Persönlicher Kommentar zur Antwort der Berner Regierung auf meine Interpellation vom 6. November 2025:



Als Unternehmer weiss ich, wie wichtig stabile Beziehungen und faire Abkommen mit unseren europäischen Nachbarn sind. Die Schweiz ist ein exportorientiertes Land – ein Land, das vom offenen Austausch von Waren, Wissen und Menschen lebt. Unsere Unternehmen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.

In diesem Sinne bin ich als Unternehmer und als wirtschaftsliberaler Politiker grundsätzlich offen für Verträge mit der Europäischen Union. Sie schaffen Planbarkeit, Sicherheit und Zugang zu Märkten, die für unseren Wohlstand zentral sind. Doch die aktuelle Diskussion rund um das Gesundheitsabkommen Schweiz–EU geht weit über wirtschaftliche Fragen hinaus. Sie betrifft das Fundament unserer Demokratie.


Andere Parteien und Organisationen äussern sich jeweils lautstark – entweder klar dafür oder klar dagegen. Und kaum ist eine Position bezogen, folgt der Ruf nach einem Schutzschirm für die eigene Klientel: sei es für die Bauern, für die Gewerkschaften, für die Patienten usw. Die FDP.Die Liberalen hat in den letzten Tagen für ihren differenzierten Kurs Kritik eingesteckt, weil sie sich für eine positive Vernehmlassung gegenüber dem Bundesrat ausgesprochen hat.


Aber genau diese Abwägung ist es, die die FDP immer ausgezeichnet hat: Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen und die Interessen der Schweiz als Ganzes zu betrachten – auch wenn es politisch nicht den einfachsten Weg bedeutet. Würde die FDP wie andere Gruppierungen vorgehen, hätte sie eine ablehnende Haltung beschliessen können – selbstverständlich kombiniert mit der Forderung nach einem Schutzschirm für die Wirtschaft. Doch populistische Reflexe ersetzen keine seriöse Auseinandersetzung.


Das geplante Gesundheitsabkommen sieht vor, dass die Schweiz künftig gewisse EU-Normen dynamisch übernimmt – also automatisch und laufend anpasst, ohne dass jedes Mal Volk oder Parlament mitreden. Was das konkret bedeutet, weiss man allerdings nicht genau. Selbst die Regierung schreibt in ihrer Antwort auf meine Interpellation, dass die künftigen Anpassungen nicht klar begrenzt sind und damit Einschränkungen der kantonalen Hoheit drohen. Diese Unsicherheit ist gefährlich – denn sie schafft eine schleichende Rechtsentwicklung ausserhalb unserer demokratischen Kontrolle.


Wer liest schon die AGB's?

Es ist ein Prinzip, das wir aus dem digitalen Alltag nur zu gut kennen: die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Sind wir ehrlich – wer liest sie wirklich? Wir klicken auf «Ja, ich bin einverstanden», weil wir davon ausgehen, dass schon jemand anderes das Kleingedruckte gelesen und bei Bedarf reklamiert hat. Ich habe das Gefühl, dass es bei diesen Verträgen genau gleich läuft: Kaum jemand hat sie wirklich gelesen, aber viele sind bereit, sie einfach zu akzeptieren – in der Hoffnung, dass es schon gut kommt. So sollte man mit Staatsverträgen, die unsere demokratische Selbstbestimmung berühren, nicht umgehen.


Ich trage zwei Hüte: Als Unternehmer sehe ich die wirtschaftlichen Vorteile einer engen Kooperation mit der EU. Als Parlamentarier und überzeugter Liberaler sehe ich aber auch die Gefahr, dass wir den Grundgedanken unserer direkten Demokratie preisgeben – jenen Gedanken, den unsere Vorfahren in der FDP aufgebaut und über Generationen verteidigt haben. Je mehr ich mich mit den Inhalten dieser Verträge auseinandersetze, desto grösser werden meine Bedenken. Denn eines ist klar: Wenn sich die Schweiz einmal für diese Verträge entschieden hat, wird es kaum mehr möglich sein, sie wieder aufzulösen. Die EU wird einen solchen Schritt kaum zulassen. Die Europäische Union ist – und das sage ich mit Respekt, aber auch mit Sorge – zur grössten Bürokratietreiberin Europas geworden. Der eigentliche Sinn, der einst in der Kooperation und Freiheit lag, droht zunehmend in einem Netz von Regulierungen zu verschwinden. Selbst wirtschaftlich starke Mitgliedstaaten diskutieren heute offen über einen möglichen EU-Austritt, weil sie spüren, dass an der Basis immer mehr Entscheidungskompetenzen verloren gehen.


Ich habe als Grossrat einen Eid auf die Verfassung des Kantons Bern abgelegt. Diese verpflichtet mich, die Rechte und Freiheiten des Volkes zu wahren. Darum kann ich nicht nachvollziehen, weshalb die Mehrheit der Kantone das Abkommen trotz unklarer Kosten, trotz Verlust an Eigenständigkeit und trotz offener Fragen grundsätzlich befürwortet. Noch weniger verstehe ich, weshalb das kantonale Parlament, also die gesetzgebende Gewalt, bisher nicht einbezogen wurde. Das Gesundheitsabkommen betrifft nicht nur den Bund – es betrifft direkt die Kantone, ihre Behörden und letztlich uns alle. In einer föderalen Demokratie darf man solche Entscheidungen nicht hinter verschlossenen Türen treffen.


Als Präsident eines Wirtschaftsverbandes erhalte ich derzeit unzählige Mails und Anrufe von Unternehmerinnen und Unternehmern, die dieselben Fragen und Sorgen äussern. Viele teilen meine wachsende Skepsis – nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil sie spüren, dass die Verträge langfristige Konsequenzen haben könnten, die kaum mehr korrigierbar sind. Anderseits erkennen viele auch die Notwendigkeit einer funktionierenden Partnerschaft mit der EU, gerade für den Export und die Planungssicherheit.

Bemerkenswert ist, dass sich viele dieser Unternehmen an ihre regionale Sektion wenden – nicht an die grossen nationalen Verbände, die vor allem die Interessen der Grosskonzerne vertreten. Das zeigt, dass an der Basis eine lebendige, ehrliche und kritische Diskussion geführt wird – und genau das braucht unsere Demokratie. Aber genau auf dieser Stufe hat man sich bisher noch nicht wirklich äussern können. Im Gegenteil: Wer sich heute differenziert äussert, steht rasch unter medialem Druck, sich klar auf eine Seite zu stellen. Diese Polarisierung ist gefährlich – denn sie verhindert, dass man sachlich über Inhalte, Risiken und Alternativen spricht. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir den Mut haben, Fragen zu stellen, bevor wir entscheiden.


Ich stehe für eine starke, eigenständige Schweiz, die ihre Verantwortung in Europa wahrnimmt – aber auf Augenhöhe. Wir brauchen Partnerschaften, keine Abhängigkeiten. Wir brauchen Verträge, die Nutzen bringen, aber keine demokratischen Schlupflöcher. Und wir brauchen eine Politik, die sich nicht scheut, auch das Kleingedruckte zu lesen – bevor sie «Ja» klickt. Die Basisarbeit zu diesem Thema ist längst noch nicht abgeschlossen.


Ein Ja zu Europa darf kein Nein zur Schweiz sein.


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© 2025 Carlos Reinhard

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